Der Terror von Colditz – Kriminell und rechtsextrem: Wie eine Familie in Colditz jahrelang Angst und Schrecken verbreitet

Sieg-Heil-Rufe, brutale Überfälle, Anschläge – in Colditz agiert über Jahre ein rechtsextremes Netzwerk. Mittendrin: Ralf N. und seine Söhne. Sie terrorisieren Nachbarn, verprügeln Punks. Von Polizei und Staatsanwaltschaft hat die Familie nichts zu befürchten. Bis Ermittler Drogen, Waffen und mehrere Luxusautos finden.

Ralf N. und seine Söhne Uwe und Andreas lieben schnelle Autos: Wenn sie in den vergangenen Jahren durch die Innenstadt von Colditz rasten, taten sie das am Steuer von Nobelkarossen – den 67-jährigen Ralf N. sah man zuletzt häufig in einem Lamborghini mit vergoldeten Felgen, Andreas N. im schweren Geländewagen von Mercedes in matt-schwarz. Woher das Geld stammt, darüber gab es Gerüchte. Jetzt scheint es Gewissheit zu geben: Bei einer Razzia im März durchsuchten Beamte von Bundespolizei und Zoll Wohnhäuser und Lagerhallen der Familie. Sie fanden Crystal-Meth im Wert von einer halben Million Euro, eine Cannabisplantage mit 2600 Pflanzen, mehrere Waffen, 32.000 Euro in bar.

Ein Regime der Angst

Die drei Männer sitzen in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben wegen bewaffneten Drogenhandels. Wenn der Prozess beginnt, wird es vor allem um deren kriminelle Machenschaften gehen. Dabei hat die Familie N. in der ländlichen Idylle, 50 Kilometer von Leipzig entfernt, offenbar nicht nur einen Drogenumschlagplatz geschaffen, sondern ein Regime der Angst. Die Männer terrorisierten jeden, der ihnen nicht passte, der sich widersetzte. Ihre Autos dienten nicht nur der Protzerei, sie waren Teil einer Machtdemonstration.

Die Rücksichtslosigkeit und Brutalität von Ralf, Uwe und Andreas N. ist in Gerichtsakten dokumentiert. Die Ohnmacht der Betroffenen wird in Gesprächen spürbar. Ebenso die Erleichterung darüber, dass die drei Männer nicht mehr da sind, dass ihnen lange Haftstrafen drohen, dass sich die Landespolitik mit dem Fall beschäftigt. Viele fragen sich aber auch: Warum erst jetzt?

Ralf N. mobbte Nachbarn, ging auf Polizeibeamte los

Der Aufstieg der Familie N., er ist eng verknüpft mit dem Niedergang von Colditz in der Nachwendezeit: Mitte der Neunziger schloss das Porzellanwerk, das den gesamten Ostblock mit Geschirr versorgt hatte. Die Arbeitslosigkeit stieg auf über 35 Prozent; vor allem junge Leute verließen die Stadt. Anfang der 2000er Jahre fuhr das letzte Mal ein Zug nach Colditz. Der Ort, abgelegen hinter dichtem Wald, weit weg von der Autobahn, schien endgültig abgehängt.

In der Region entstand eine militante rechtsextreme Szene, die nach der Jahrtausendwende die Stadt dominierte. Neonazis demonstrierten auf dem Marktplatz, trugen T-Shirts, auf denen Totschläger abgebildet waren, dazu der Schriftzug: „Angstzone Colditz“. In dieser Zeit zog ein Mann in die Stadt, der wie ein Katalysator wirkte: Der gelernte Fleischer Ralf N. eröffnete einen Holzhandel, machte ihn zum Treffpunkt der Szene. Ein Foto von damals zeigt die Gruppe, gut gelaunt mit Bierflaschen in der Hand. Unter ihnen sind auch rechtsextreme Kampfsportler. „Braune Halle“, so nennen sie in Colditz das Gebäude bis heute.

Mit der rechtsextremen Szene im Rücken führte sich Ralf N. auf wie ein Tyrann. Er beschimpfte Nachbarn, bis sie entnervt wegzogen. Ein Ehepaar blieb. Ralf N. lauerte den beiden auf, hielt neben deren Grundstück Hühner, Puten und sogar Wildschweine. Gestank und Lärm sollten das Paar mürbe machen.

Auch die Familie L. geriet ins Visier: Die Söhne spielten in der Punkband Hämatom, probten in einer Halle, die zum Ladengeschäft des Vaters gehörte. Als sie Konzerte gaben, rückten regelmäßig Neonazis an, Drohanrufe waren Alltag. Im Februar 2008 tauchten vor dem Wohnhaus der Familie L. Jugendliche auf, höhnten: „Morgen stehen hier 400 Mann an der Ecke. Dann hauen wir euch auf die Schnauze, ihr dummen Judenschweine“, so steht es in Gerichtsakten. Am nächsten Tag marschierten bis zu 100 Vermummte durch die Stadt, zum Elektrofachgeschäft der Familie L. Mit einem Betonständer schlugen sie das Sicherheitsglas ein, warfen einen Megaböller und einen Nebeltopf aus NVA-Beständen ins Geschäft.

Bei der Polizei gingen an diesem Abend zahlreiche Notrufe ein, die der Leipziger Volkszeitung als Protokolle vorliegen:

19.49 Uhr, Frau S.:

Anruferin: „Ja, guten Tag, hier ist die Frau S. Auf dem Sophienplatz in Colditz geht jetzt gleich was los.“

Polizist: „Was geht‘n da los?“

Anruferin: „Die Maskierten sind ja alle hier unten. Auf dem Sophienplatz.“

Polizist: „Ja und?“

Anruferin: „Die treten hier unten alles ein. […]“

Polizist: „Gut, alles klar, Frau S. Wir kümmern uns drum.“

19.51 Uhr, Herr J.:

Anrufer: „In Colditz auf dem Sophienplatz stehen über 50 vermummte Gestalten.“

Polizist: „Ja, es ist bekannt. Und warum rufen Sie an?“

Anrufer: „Weil diese Gestalten unten gegen ein Haus, wo der Tele-Service drinnen ist, treten, schlagen, Sprengkörper werfen. […] Was wird da gemacht? Kann ich …“

Polizist: „Hören Sie, das kann ich Ihnen nicht sagen, was da gemacht wird. Das ist polizeitaktisch.“

Tatsächlich hatte die Polizei fünf Streifenwagen auf dem Markt zusammengezogen – 200 Meter entfernt vom Tatort. Die Beamten griffen nicht ein, auch nicht, als die Schläger die Scheiben eines türkischen Imbisses zerstörten. Die Soko Rex, eine Spezialeinheit des Landeskriminalamtes, nahm die Ermittlungen auf. Doch nur Ralf N. wurde angeklagt: Stundenlang hatten er und sein Sohn Uwe am Tatabend die Polizeikräfte ausgekundschaftet. Ralf N. war auf Beamte losgegangen.

Als ein Pensionsbesitzer redet, hat er eine Farbbombe vor der Tür

Ralf N., seine Söhne und ihre Neonazifreunde machten immer weiter: Mit den Schikanen gegen die Nachbarn, der Gewalt: 2010 verprügelten sie mehrere Punks, traten gegen die Köpfe der am Boden liegenden Männer. Das Amtsgericht Grimma verurteilte sie unter anderem wegen Beleidigung und schwerer Körperverletzung. Das Vorstrafenregister von Ralf, Uwe und Andreas N. füllte schon damals mehrere A4-Seiten. In der Urteilsbegründung heißt es, man sei überzeugt, dass die Männer „zukünftig ein straffreies Leben führen“. Die Haftstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt.

Jahrelang schien es, als hätte die Familie N. von Polizei und Justiz nichts zu befürchten. Und selbst als Uwe N. mit 1,8 Kilo Crystal Meth festgenommen wurde und Ralf N. wegen Verstößen gegen Auflagen ins Gefängnis musste, funktionierte das Netzwerk weiter.

Ralf Gorny betreibt im Stadtzentrum von Colditz eine kleine Pension. 2014 besuchte ihn der MDR. Gorny erzählte, wie Uwe N. immer wieder seine Gäste belästigte: „Er hat gesagt: ihr seid Ausländer und wir brauchen euer Geld nicht.“ Als der Beitrag erschien, stand vor Gornys Tür eine Farbbombe. Eine Drohung.

Angriff folgte auf Angriff. Immer wieder wurden die Fensterscheiben der Pension mit Böllern zerstört. Eine Kugelbombe landete auf der Holzterrasse. Gorny hat alles angezeigt, doch die zuständige Staatsanwaltschaft ignorierte Ermittlungsansätze der Polizei und stellte das Verfahren ein – kein einziger Anschlag wurde aufgeklärt. Wer Gorny in dieser Zeit besuchte, erlebte einen Mann, der an den Sicherheitsbehörden verzweifelte und unter dem fehlenden Rückhalt in der Stadt litt. An schlechten Tagen überlegte er, seine Pension zu verkaufen.

Ralf Gorny ist in Colditz geblieben – und man würde ihn gern fragen, wie es ihm heute geht. An einem heißen Sommertag sitzt er rauchend auf der Holzterrasse seiner Pension. Gorny grüßt freundlich, reden will er jedoch nicht. Ebenso wenig L., der in der Stadt noch immer das Elektrofachgeschäft betreibt. Früher hatte er bei Veranstaltungen über rechtsextreme Gewalt diskutiert, dem „Spiegel“ Interviews gegeben, jetzt lebt er zurückgezogen. Im Schaufenster seines Ladens, neben Kaffeemaschinen und Bügeleisen, weist ein Schild auf Überwachungskameras hin.

Für das Innenministerium scheint der Fall abgehakt

Wer bereit ist, zu reden, tut das anonym. In den Gesprächen geht es viel um Angst, auch davor, dass Polizei, Justiz und Politik nicht das ganze Ausmaß erkennen. Erkennen wollen.

Bis zu ihrer Festnahme lagen 424 Anzeigen gegen Ralf, Uwe und Andreas N. vor. Das Innenministerium hat außerdem eine Liste von möglichen Einschüchterungsversuchen von Stadtverwaltung und Polizei zusammengestellt: Mitarbeiter des Bau- und Veterinäramts wurden bedroht. Man kenne die Privatadresse, bekam ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle zu hören. Neun solcher Vorfälle listet das Innenministerium für den Zeitraum 2009 bis 2022 auf. Doch das sind nur die, die überhaupt gemeldet wurden. Und ein prominenter Vorfall fehlt: Der frühere Bürgermeister von Colditz wurde auf dem Stadtfest von Ralf N. verprügelt. Das bestätigt die Witwe des mittlerweile verstorbenen FDP-Mannes. Aus Angst habe er keine Anzeige erstattet.

Mittlerweile sind sächsische Innenpolitiker wie Valentin Lippmann (Grüne) überzeugt: „Wir haben es in Colditz offenbar mit einer verfestigten Struktur von rechtsextremer Clan-Kriminalität zu tun gehabt“. Die Landesregierung ist dagegen mit ihrer Einschätzung auffällig zurückhaltend. Und das, obwohl Innenminister Armin Schuster (CDU) angekündigt hatte, solche Verbindungen stärker prüfen zu wollen. Jetzt wo Ralf, Uwe und Andreas N. nicht mehr durch die Straßen von Colditz rasen, scheint der Fall abgehakt.

Einer, der auch lieber nach vorne schauen will, ist der Bürgermeister von Colditz, Robert Zillmann. Er kommt aus der Region, Neonazi-Aufmärsche bei Dorffesten, Sonnenwendfeiern mit Hitler-Grüßen – der 38-Jährige kennt das alles aus seiner Jugend. Er spricht offen über diese Zeit, bestreitet nicht, dass es auch heute Hakenkreuz-Schmierereien an der Promenade gibt, „Sieg-Heil-Rufe“ auf dem Stadtfest. „Aber“, sagt er: „Das hier ist keine rechte Hölle mehr“. Zillmann ist Bürgermeister einer Stadt, die sich nie ganz vom Einwohnerschwund der Nachwendezeit erholt hat, die aber Touristen anzieht und Leipziger, die in der Gegend Dreiseithöfe kaufen. In seinem Büro zählt Zillmann auf, was sich in der Stadt alles getan hat: Regelmäßige Friedensgebete in der Stadtkirche St. Egidien mit engagierten Bürgern. Der preisgekrönte Verein Kulturmarkt organisierte ein Fest im Stadtbad, mit Arschbombenwettbewerb und einer Friseurin aus Gambia, die den Kindern Rastazöpfe flocht.

Das Engagement ist bedroht

Das Go-Team, ein von der Stadt geförderter Kinder- und Jugendverein, sammelt Müll, organisiert die U18-Wahl und arbeitet die Vergangenheit der ehemaligen Steingutfabrik auf – zu NS-Zeiten eine Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald. „Über all das muss man doch reden“, sagt Robert Zillmann.

Und er hat ja Recht. Nur genau dieses Engagement ist bedroht. Denn es gab einen Angriff auf das Go-Team: In einem Gedächtnisprotokoll heißt es, mehrere Erwachsene seien plötzlich am Treffpunkt der Jugendlichen aufgetaucht. Sie drohten, wollten Namen wissen. Einer der Erwachsenen warf mit einer Bank. Eine ehrenamtliche Betreuerin des Go-Teams wurde als „grün versifft“ und „Schlampe“ bezeichnet, ein herbei geeilter Betreuer von einem der Angreifer bedroht: Man werde ihn aufhängen. An Himmelfahrt war das. Da saßen Ralf N. und seine Söhne schon im Gefängnis.

Mitarbeit: Haig Latchinian